0 Prozent Zinsen für immer?

Was die Anleger in 2020 beschäftigen wird: Zu Beginn des Jahres haben wir unsere Kapitalmarktexperten nach den Trends und Themen für 2020 befragt.

Sebastian Junker ist bei der Sparkasse Dortmund als Bereichsleiter Wertpapiere unter anderem für die Anlage der eigenen Gelder der Sparkasse zuständig. Dr. Axel Büscher und Dominik Sodenkamp betreuen bei der S Private Banking die besonders wertpapieraffinen Kunden. Sie alle beschäftigen sich daher täglich intensiv mit den aktuellen Marktentwicklungen und -perspektiven.

1. Welche Auswirkungen haben die Niedrigzinsen auf den Kapitalmarkt?

Sebastian Junker: Die Niedrigzinsen haben sich in den vergangenen Jahren deutlich auf den Kapitalmarkt ausgewirkt. Zum einen kam es zu einer Neubewertung und damit steigenden Kursen bei Kapitalmarktanlagen wie beispielsweise Aktien und Renten. Aber auch Anlagen außerhalb der Kapitalmärkte wie Immobilien erfuhren eine Neubewertung. Zum anderen steht nun die Suche nach Rendite im Fokus der Anleger. Die steigende Nachfrage nach rentableren Anlagen hat infolgedessen die Risikoaufschläge beispielsweise bei Unternehmensanleihen signifikant reduziert.

2. Welchen Einfluss hat die EZB auf den Kapitalmarkt?

Sebastian Junker

Sebastian Junker

Sebastian Junker: Mit ihren Ankaufprogrammen hat sich die Notenbank mittlerweile zu einem zentralen Handelsakteur an den Kapitalmärkten entwickelt. Die hohe Nachfrage der Zentralbank hat nicht nur die Zinsen sinken lassen. Das hohe Volumen hat auch dazu geführt, dass Anleger aus dem Markt gedrängt wurden, da Anleihen nicht mehr in ausreichendem Maße vorhanden sind. So ist die EZB heute bei fast jeder Neuemission relevanter Anleihen maßgeblich in den Zeichnungssummen vertreten.

3. Welche Chancen und Risiken bestehen für deutsche Anleger auf dem Kapitalmarkt?

Sebastian Junker: Das höchste Risiko ist aus meiner Sicht die Niedrigzinsphase selbst. Galt in der Vergangenheit das ungeschriebene Gesetz, dass mit einer Geldanlage immer ein Inflationsausgleich erfolgt, so hat sich dieses Bild seit einigen Jahren gewandelt. Mit Spareinlagen allein lässt sich der Kaufkraftverlust der Inflation heute nicht mehr aufhalten. Das ist gerade für den deutschen Anleger nicht nur Risiko, sondern vielfach Realität. Dass uns dieses Umfeld noch auf Jahre begleiten wird, ist bei einigen Anlegern noch nicht angekommen. Daneben sind natürlich die Abhängigkeit der Kapitalmärkte von der Notenbank und die konjunkturelle Entwicklung wesentliche Risiken. Die Chance besteht aus meiner Sicht jetzt in einer ausgewogenen chancen- und risikoorientierten Aufstellung der Anlagen. So ist auch eine Rendite über Inflation weiterhin möglich. Darüber hinaus bieten einige Anlagesegmente nach wie vor gutes Potential für Wertsteigerungen.

4. Welche übergeordneten Themen bestimmen die Kapitalmärkte zurzeit?

Sebastian Junker: Der Handelskrieg zwischen den USA und China ist weiterhin ein zentrales Thema an den Märkten. Dabei ist ein entscheidender Unruhefaktor, dass Politik heute weniger hinter verschlossenen Türen verhandelt, als denn mit einem schnellen Tweet kommuniziert wird. Über allem schwebt aus meiner Sicht jedoch die hohe Bedeutung der Notenbankpolitik sowie der Niedrigzinsen.

5. Wie stellt sich die Sparkasse Dortmund mit ihren eigenen Anlagen momentan auf?

Sebastian Junker: Wir setzen das um, was wir auch unseren Kunden empfehlen. Eine breite Vermögensallokation über alle Anlageklassen und Anlageregionen mit dem Ziel einer hohen Diversifikation. Dies war für uns – wie für viele Anleger – ein Schritt zu etwas mehr Risiko im Portfolio. Hier gilt für uns die Devise: Kontrollierte bewusste Risikosteuerung, um von den Chancen an den Kapitalmärkten zu profitieren. Das geht natürlich nicht von heute auf morgen, sondern war ein langer Prozess. So konnten wir die Timing-Risiken im Griff behalten.

6. Welchen Einfluss haben die Kapitalmärkte auf die Corporate-Governance-Strukturen in Deutschland und Europa? (Thema Nachhaltigkeit z.B.)

Dominik Sodenkamp

Dr. Axel Büscher/Dominik Sodenkamp: Corporate Governance beinhaltet die Grundsätze der Unternehmensführung und umfasst den rechtlichen und faktischen Ordnungsrahmen eines Unternehmens. Somit haben die Kapitalmärkte, besser gesagt die Investoren, hierauf einen starken Einfluss. So sind etwa Stiftungen und Pensionsfonds durch ihre Anlagerichtlinien angehalten, nur in Unternehmen mit ausgefeilter Corporate-Governance zu investieren. Dazu zählen beispielsweise ein exaktes Berichtswesen und die Existenz einer Compliance-Abteilung.

7. Wodurch unterscheidet sich der deutsche respektive europäische Kapitalmarkt von denen in den USA und Asien?

Dr. Axel Büscher/Dominik Sodenkamp: Generell funktionieren die Kapitalmärkte in den jeweiligen Regionen gleich, allerdings gibt es Unterschiede in der Historie sowie in der Bewertung. Durch die lange positive Wirtschaftsentwicklung in den USA scheinen die Aktienmärkte aktuell leicht überbewertet im Vergleich zum langjährigen Durchschnitt, wohingegen die europäischen und asiatischen Aktienmärkte als günstiger gelten. Allerdings ist die Abhängigkeit der europäischen und asiatischen Märkte von der Bewertung der amerikanischen enorm.

8. Was sind die Trends für 2020?

Dr. Axel Büscher/Dominik Sodenkamp: Nach wie vor sind wir der Meinung, dass der technologische Fortschritt weiter rasant an Fahrt aufnehmen wird und somit gute Investitionsmöglichkeiten bietet. Gleiches gilt für das Thema Nachhaltigkeit: In diesem Bereich will Europa eine weltweite Schlüsselrolle einnehmen und bis zum Jahr 2030 eine Billion Euro investieren. Dies führt zu fiskalpolitischen Investitionen, die das Wachstum zusätzlich ankurbeln sollten. Nicht zu vergessen die demographische Entwicklung. Auch hier sehen wir gute Investmentchancen. Durch die Alterung der Gesellschaft und den damit einhergehenden, höheren Kosten für die Gesundheitssysteme ist es wichtig, die Digitalisierung voranzutreiben. So können Kosten gesenkt werden und die Strukturen weiterhin bezahlbar bleiben. Aufgrund der natürlichen Nachfrage in diesem Segment ist und bleibt die demographische Entwicklung ein Megatrend.

9. Wie sollte der Privatanleger sein Portfolio für die nächsten Jahre aufstellen?

Dr. Axel Büscher/Dominik Sodenkamp: Zukünftige Rentenanlagen bieten immer niedrigere Zinskupons und somit ist hier eine positive Rendite nur noch über Kursgewinne zu erwarten. Um eine positive Realverzinsung zu erzielen, ist es vor dem Hintergrund dieser Situation fast unabdingbar, auch höhere Risiken einzugehen. Wie Herr Junker bereits ausgeführt hat, empfehlen wir eine breite Streuung des Portfolios über verschiedene Anlageklassen und Regionen. Wir sind der Überzeugung, dass durch diese Vorgehensweise die Risiken reduziert werden können und auf mittlere bis lange Sicht eine adäquate Rendite erzielt werden kann.

10. Sollte Gold im Portfolio vertreten sein?

Dr. Axel Büscher

Dr. Axel Büscher/Dominik Sodenkamp: Einen ähnlich starken Anstieg des Goldpreises wie im Jahr 2019 halten wir für eher unwahrscheinlich. Dennoch: Auf Grund der Absicherungseigenschaften kann Gold, je nach Risikoneigung, auch weiterhin ein interessanter Portfoliobaustein sein.

11. Lohnt es sich auch in 2020 weiterhin in Immobilien zu investieren?

Dr. Axel Büscher/Dominik Sodenkamp: Unserer Meinung nach, ja. Immobilien bieten in dem derzeitigen Umfeld oft eine höhere Rendite als Staatsanleihen aus Industrieländern und haben oft noch steuerliche Vorteile, sowohl in der Form eines Immobilienfonds als auch bei einer Immobilie als Direktanlage. Eine eigengenutzte Immobilie hat natürlich einen ganz besonderen Charme und ist ein sinnvoller Baustein für die Altersvorsorge. Eine Immobilie als Direktinvestment oder als Fondslösung eignet sich als Kapitalanlage, da diese geringeren Schwankungen im Vergleich zu bspw. Aktien unterliegen und einen konservativen Baustein im Portfolio darstellen. Allerdings gilt es auch hier zu beachten, dass Qualität und Lage stimmen müssen.

12. Wird es in 2020 neue Kryptowährungen geben?

Dr. Axel Büscher/Dominik Sodenkamp: Basierend auf den Entwicklungen der letzten Jahre ist davon auszugehen, dass auch in diesem Jahr neue Kryptowährungen hinzukommen werden. Allerdings ist, wie an dem Beispiel der geplanten Kryptowährung Libra von Facebook im letzten Jahr nachvollziehbar, noch einiges in Sachen Regulierung und Akzeptanz der Notenbanken und Asset Manager zu tun. Dies wird auch an der hohen Schwankungsbreite der Kryptowährungen ersichtlich.

Bild oben: Das Team der Anlageexperten im Interview. Foto: S Private Banking Dortmund.