„Wir müssen die Leute wieder
für die Gastronomie-Berufe begeistern“

Bereichsdirektorin Tanja Frommert im Interview mit dem Dortmunder Gastronomen Sascha Nies.

Die Gastronomie ist besonders von den aktuellen Krisen betroffen. Erst Corona, nun Energiekrise und eine zu befürchtende Rezession im kommenden Jahr machen der Branche schwer zu schaffen. Sascha Nies, Restaurant-Besitzer und Inhaber des Cateringunternehmens dinner&co, kennt das Geschäft seit über 25 Jahren. Zudem ist er langjähriger Kunde der Sparkasse Dortmund und setzt mithilfe der Finanzpartnerin gerade sein neues Großprojekt auf der Kokerei Hansa um. Im Interview mit Tanja Frommert, Bereichsdirektorin S Private Banking Dortmund, bezieht er Stellung zu den Herausforderungen der Branche und seinen persönlichen Weg damit umzugehen.

„Wir müssen nicht weniger, sondern qualitativ hochwertiger essen.“

„Für mich ist der Respekt vor den eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ein nahezu existenzielles Thema.“

Wie geht es Ihnen persönlich? Wie läuft das Geschäft?

Sehr gut. Wir haben viele Herausforderungen für das kommende Jahr. Wir konzentrieren uns derzeit auf die Zukunft und Ausrichtung von dinner & co.
Das betrifft vor allem den Bau unseres neuen Hauptsitzes auf dem Gelände der Kokerei Hansa.

Sie sind bereits sehr lange als Gastronom in Dortmund tätig, wie schätzen Sie die derzeitige Lage Ihrer Branche in der Stadt ein?

Ich bin seit 25 Jahren als Unternehmer in der Branche tätig und habe alle Höhen und Tiefen miterlebt. Die Situation ist momentan sehr verzwickt. Insbesondere der Fachkräftemangel beschäftigt uns. Die Chance für die Zukunft liegt darin, jetzt kompetente Leute zu gewinnen und sie trotz der wirtschaftlich instabilen Lage an sich zu binden.

Wie bewerten Sie insgesamt die Entwicklung von Dortmund?

Geboren in Huckarde und aufgewachsen in Dorstfeld – ich bin Dortmunder durch und durch. Als Kind habe ich das große Zechen- und Industriesterben in den 80er Jahren miterlebt. Damals habe ich gedacht, ich werde später arbeitslos sein. Und dann hat Dortmund mit dem Strukturwandel einen echten Spurt hingelegt. Der Aufbau des Technologiezentrums in den 90er Jahren – ein Riesenerfolg, Phoenix-West sowie Phoenix-See und nun entstehen in Huckarde der Energiecampus und im Hafen das Digitalquartier. Zudem können wir uns 2027 auf die Internationale Gartenausstellung (IGA) auf der Kokerei Hansa freuen.
Die Situation der Innenstädte ist auf der ganzen Welt problematisch. Da hilft kein Klagen. Diesem Wandel muss man sich stellen und sagen: Was kann ich tun, damit es besser wird?

Ein Schwerpunkt bei Ihnen ist ja der Eventbereich. Im Jahr drei von Corona. Wie läuft es hier? Was hat sich verändert? Gibt es hier neue Trends?

Wir stellen einen stärkeren Hang zur Qualität fest. Die Leute sind bereit, für gute Nahrung mehr Geld auszugeben. Durch die veränderte Freizeitgestaltung haben viele Menschen ein neues Hobby entdeckt – nämlich zu sagen, ich achte auf meine Ernährung. Natürlich orientiert sich ein Teil immer noch am Preissegment. Wir sehen also zwei grundverschiedene Herangehensweisen: Die Kundinnen und Kunden, die sagen: „Ich habe 20 Gäste – was können Sie tun?“ und diejenigen, die sagen: „Ich habe 20 Euro – was können Sie mir liefern?“
Grundsätzlich müssen wir nachhaltiger werden. Wir müssen nicht weniger, sondern qualitativ hochwertiger essen.

„Rezessionen treffen immer die Mittelschicht. Wer sich mit seiner Gastronomie auf die Mittelschicht konzentriert hat, wird aufgrund der fehlenden Kaufkraft in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten.“

Welche Herausforderungen sehen Sie in naher Zukunft für die Branche? Wie ist Ihre Prognose?

Für mich ist der Respekt vor den eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ein nahezu existenzielles Thema. Wir müssen die Leute wieder für Gastronomie-Berufe begeistern und (zurück)gewinnen. Viele haben früher ihre Erfüllung in dieser Arbeit gefunden. Aber es gab immer gewisse Themen, die die Mitarbeitenden stark beschäftigt haben: Der Umgang der Arbeitgeberin oder des Arbeitgebers mit den Angestellten, schlechte und/oder verzögerte Bezahlung und der Umgang der Kundinnen und Kunden mit den Dienstleistenden. Es ist teilweise sehr beschämend, wie sie mit unseren Angestellten reden. Ich wünsche mir hier einen respektvolleren Umgang, einfach mal ein kleines „Dankeschön“ und auch ein Trinkgeld zum Schluss.
Daneben rechne ich fest mit einer Rezession im kommenden Jahr. Rezessionen treffen immer die Mittelschicht. Wer sich also mit seiner Gastronomie auf die Mittelschicht konzentriert hat, wird aufgrund der fehlenden Kaufkraft in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten. Wir haben uns mit dinner&co schon vor einiger Zeit auf den hochwertigen Bereich spezialisiert, der rezessionssicherer ist. Eine hundertprozentige Sicherheit gibt es allerdings nicht.

Laut einer aktuellen Gewerkschaftsumfrage hat sich die Zahl der Menschen, die in der Gastronomie eine Ausbildung machen, nahezu halbiert. Wie begegnen Sie dem Personalmangel in Ihrer Branche?

Glücklicherweise haben wir derzeit keinen Personalmangel, sondern eher das Gegenteil. Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind sehr lange im Unternehmen. Unser Chefkoch Christian Spinnrath zum Beispiel arbeitet schon seit 17 Jahren für mich. Wir bieten unseren Angestellten Perspektiven. Wo steht das Unternehmen in fünf Jahren und welche Entwicklung kann er oder sie in dieser Zeit vollziehen? So schaffen wir es, dass viele bei uns bleiben. Generell sollten zudem die Ausbildungsvergütungen in der Branche drastisch erhöht werden.
Ein Manko des Gewerbes ist, dass zur Eröffnung eines Restaurants keinerlei Fachkompetenz vorliegen muss. Zur Konzessionsanmeldung bedarf es nur des sog. „Frikadellen-Scheins“, einer Bescheinigung des Besuchs einer Pflichtveranstaltung bei der IHK (Gaststättenunterricht), sowie eines Gewerbescheins. Das kostet summa summarum ca. 100 Euro und dann ist man Gastronom bzw. Gastronomin. Wie kann aber eine Unternehmerin oder ein Unternehmer ohne fachliche Kompetenz entscheiden, ob eine Mitarbeiterin bzw. ein Mitarbeiter Kompetenz besitzt?

Erst Corona, nun Energiekrise – wie gehen Sie persönlich mit diesen Situationen um?

Auf der Kokerei Hansa in Huckarde entsteht derzeit unser neuer Firmensitz. Dort installieren wir Photovoltaikanlagen zur Stromgewinnung. Als wir vor fünf Jahren mit den Planungen begannen, war die derzeitige Situation natürlich nicht absehbar. Deshalb sind wir momentan auf Gaswärmeversorgung angewiesen. Langfristig werden wir uns neuen Energieträgern zuwenden müssen.

„Die Gastronomie schwächelt nicht, weil die Leute nicht essen gehen, sondern weil die fachlichen Erfahrungen und Voraussetzungen, ein Unternehmen zu leiten, fehlen.“

Haben die Corona-Hilfen vom Staat zu einer Verbesserung der Situation geführt?

Da wir zu der Zeit noch als Kantinenbetreiber galten, war unser Unternehmen von den relevanten November- und Dezemberhilfen ausgeschlossen. Damit sind uns 485.000 Euro verwehrt worden. Das mussten wir auffangen. Persönlich bin ich also enttäuscht. Dennoch muss ich der Politik an dieser Stelle ein Kompliment machen. Mit den Coronahilfen hat sie mit der Bazooka geschossen. Das hat den Gastronominnen und Gastronomen wirklich geholfen. Wer sich über mangelnde Unterstützung beschwert oder meckert, hat vorher bereits Fehler gemacht. Die Gastronomie schwächelt nicht, weil die Leute nicht essen gehen, sondern weil die fachlichen Erfahrungen und Voraussetzungen, ein Unternehmen zu leiten, fehlen.

Welche Hilfe würden Sie sich noch wünschen? Bzw. was könnte der Staat besser machen?

Ich bin kein Freund davon, dem Staat aufzubürden, was der Unternehmer besser machen sollte. Das ist das unternehmerische Risiko, das wir eingehen. Eine Unternehmerin bzw. ein Unternehmer unternimmt etwas in die richtige Richtung. Hier sieht er bzw. sie seine/ihre Chancen, um langfristig Kosten zu finanzieren, Investitionen zu tätigen oder auch zu expandieren.
Aber es müsste einfacher sein, seine Steuern zu berechnen – wir brauchen eine Steuerpolitik-Erleichterung. Bürokratieabbau ist so ein Schlagwort. Meistens ist es leider so: An der einen Stelle werden Hürden abgebaut und an anderer wieder errichtet. Die steuerliche Abwicklung des Energiezuschusses kostet die Unternehmen zum Beispiel Geld und Zeit.

Erst im vergangenen Jahr – mitten in der Pandemie – haben Sie auf Phoenix-West das 5-days eröffnet. Warum und war es die richtige Entscheidung?

Ja! Ich bin ja ursprünglich aus dem Kantinengeschäft und habe immer gemerkt, dass das, was wir kochen wollen, nie entsprechend entlohnt wurde. Kantine muss immer billig und schlecht sein – sonst kann man ja nicht meckern. Ich wollte nicht mehr schlecht kochen müssen, nur weil die Kundinnen und Kunden den Preis nicht zahlen wollten. Also bin ich aus dem System raus und habe meine eigene Art der Mittagsverpflegung entwickelt. Das 5-days heißt bewusst so: fünf Tage (montags – freitags), fünf Stunden (10 – 15 Uhr). Es spricht eine Klientel an, die sehr speisenaffin ist, die vielleicht nur einmal am Tag warm isst, aber dafür hochwertig und in einem schönen Ambiente. Das 5-days funktioniert und ist für mich ein Prestigeobjekt. Egal wie viele Leute hier sitzen, wenn sie rausgehen, müssen sie sagen: Das war richtig gut!
Die Menschen haben ihre Genussmittel zu Nahrungsmitteln gemacht. Wir kehren diesen Prozess um. Im 5-days verwenden wir Lebensmittel, die den Körper auch wirklich ernähren und am Leben erhalten. Ich appelliere inständig: Achtet auf eure Ernährung! Die Ursache vieler Krankheiten ist eine falsche Ernährung. Und wir nehmen Medikamente ein, um das ungesunde Essen weiter zu konsumieren.

Im nächsten Jahr beginnen Sie mit einem größeren Projekt auf der Kokerei Hansa. Was ist da alles geplant?

Das Thema verfolgen wir gemeinsam mit der Stiftung Industriedenkmalpflege und Geschichtskultur seit sechs Jahren. Nach langen behördlichen Wegen siedeln wir uns mit unserer Produktion und Verwaltung auf der Kokerei Hansa an. Zusätzlich entstehen noch eine Tagesgastronomie, ein Abendrestaurant und verschiedene Eventlocations wie die Kompressorenhalle, die Waschkaue und das Salzlager, das ein Fassungsvermögen für bis zu 1.200 Personen bietet. Gleichzeitig steht uns die komplette Outdoor-Möglichkeit der Kokerei zur Verfügung, wo bis zu 25.000 Menschen Platz finden.
Zudem haben wir den Vorteil, dass die Internationale Gartenausstellung (IGA) 2027 auf dem Gelände stattfindet. Hierdurch erhalten wir eine besonders tolle Infrastruktur.
Ich schätze mich glücklich, mit der Stiftung Industriedenkmalpflege und Geschichtskultur und der Sparkasse Dortmund starke Partnerinnen auf Augenhöhe auf meiner Seite zu wissen. Die Kooperation mit der Stiftung haben wir auf 30 Jahre ausgedehnt. Der Sparkasse rechne ich hoch an, dass sie trotz der Krisen hinter unserem Großprojekt gestanden und uns den Rücken gestärkt hat. Wenn die Partnerinnen sagen, wir ziehen das jetzt durch, macht es Spaß, auch in Krisenzeiten optimistisch zu bleiben.

Tanja Frommert: Als regionales Institut freut uns dieses Lob natürlich ganz besonders, Herr Nies. Projekte dieser Art sind wichtig für unsere Region und wir sind stolz, daran teilzuhaben. Wir können uns auf der einen Seite nicht darüber beschweren, dass das Gastronomieangebot abnimmt und auf der anderen sagen, es handelt sich um eine kritische Branche, da helfen wir jetzt nicht.

„Ich sehe Probleme stets als Aufgaben und Herausforderungen, die lösbar sind.“

Bei so vielen problematischen Themen und Herausforderungen, mit denen Sie sich tagtäglich beschäftigen müssen. Was treibt Sie an, morgens motiviert aufzustehen und ins Machen zu kommen?

Ich mache das, was mich glücklich macht. Ich sehe Probleme stets als Aufgaben und Herausforderungen, die lösbar sind. Probleme fangen klein an. Wenn man sie da schon angeht, wachsen sie nicht.
Wenn ich morgens in die Firma fahre und meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter begrüße, freue ich mich, dass sie mich auf meinem unternehmerischen Weg begleiten. Sie mussten ja auch an mich und meine Projekte glauben und dass sich ihre Perspektiven so entwickeln, wie ich es ihnen vorskizziert habe. Mit ihnen gemeinsam die Themen anzugehen, daraus schöpfe ich Kraft für meine Arbeit.

Was wünschen Sie sich von Ihrem Finanzpartner?

Es gibt diesen Spruch: Wenn die Sonne scheint, spannen Banken den Schirm auf, doch wenn es regnet, ziehen sie ihn ein. Genau das Gegenteil macht die Sparkasse Dortmund. Wenn die Sonne scheint, spendet sie Schatten. Dann verbrennt man sich nicht und bleibt bodenständig. Sie hinterfragt auch gute Zahlen, damit man nicht in Euphorie verfällt. Aber genauso kommt in schwierigen Zeiten der Anruf, „Herr Nies beruhigen Sie sich, es ist alles gut!“ Mehr kann ich mir nicht wünschen.

Tanja Frommert: Ich freue mich sehr, dass Sie sich bei uns so gut aufgehoben fühlen, und bedanke mich für dieses sehr schöne und interessante Gespräch.


Über dinner&co

Mit 19 Jahren startete Sascha Nies das Abenteuer Selbstständigkeit, übernahm die erste Betriebskantine bei der ALPS Electric Europe GmbH und drückte ihr seinen Stempel auf. Bald folgten zahlreiche renommierte Unternehmen dem Beispiel und ließen ihre Mitarbeiter*innen von dinner&co bewirten. 2003 erfolgte der Einstieg ins Catering-Geschäft. 2008 geht der Unternehmer in den Premiumbereich – weg vom Mainstream, hin zur absoluten Qualität. Das heißt in erster Linie innovative Event-Konzepte, hochwertige Produkte, eine kreativ-frische sowie saisonale Küche und viel Leidenschaft für Dienstleistung. Neben dem Catering betreibt dinner&co seit 2021 das 5-days auf Phoenix-West. Aus dem Kantinengeschäft zog sich das Unternehmen 2022 zurück. Aktuell entsteht der neue Firmensitz auf dem Gelände der Kokerei Hansa in Huckarde.